Ein Problem, das auf unseren Tellern landet
In einer Welt, die zunehmend unter den Folgen des Klimawandels, wachsender Urbanisierung und eines krisengeschüttelten Lebensmittelsystems leidet, wird klar: So wie bisher können wir nicht weitermachen. Unser globalisiertes Ernährungssystem hat fatale Nebenwirkungen. Lebensmittel legen oft Tausende von Kilometern zurück, bevor sie auf unseren Tellern landen – eine Logistik, die tonnenweise CO₂ freisetzt und die Frische der Produkte beeinträchtigt. Gleichzeitig veröden urbane Räume. Dächer bleiben ungenutzt, und viele Menschen, vor allem Kinder, wissen kaum noch, woher ihr Essen eigentlich stammt.
Währenddessen breitet sich in vielen Städten ein weiteres Problem aus: fehlender Zugang zu gesunden und erschwinglichen Lebensmitteln, insbesondere in sozial schwächeren Vierteln. Diese „food deserts“ – urbane Regionen ohne Zugang zu frischen Lebensmitteln – tragen zu ungesunden Ernährungsgewohnheiten und chronischen Krankheiten bei. Die Frage ist: Wie kann man diese Missstände angehen, ohne zusätzliche Ressourcen auszubeuten?
Die Lösung: Urbane Mikrofarmen
Eine mögliche Antwort darauf wächst direkt über unseren Köpfen – auf ungenutzten Dächern, in Schulhöfen oder sogar in ehemaligen Parkhäusern. Urbane Mikrofarmen, die auf modernsten Anbaumethoden wie Hydroponik und Vertical Farming basieren, versprechen eine nachhaltige, lokale Alternative zur konventionellen Landwirtschaft. Sie benötigen 90 Prozent weniger Wasser als traditionelle Methoden und verzichten vollständig auf Pestizide. Gleichzeitig können sie nahezu überall errichtet werden, unabhängig von Bodenbeschaffenheit oder Klima.
Das Konzept hinter den Mikrofarmen geht auf die Initiative von „GreenCityHarvest“ zurück, einem Sozialunternehmen, das 2018 von den Agrarwissenschaftlerinnen Maria Hoffmann und Julia Berger gegründet wurde. GreenCityHarvest begann als kleine, gemeinnützige Organisation in Berlin, mit dem Ziel, Bildung, Technologie und Nachhaltigkeit zu verbinden. Heute ist das Projekt in mehreren deutschen Städten aktiv und hat sich zu einer GmbH mit 15 festangestellten Mitarbeitenden und zahlreichen Ehrenamtlichen entwickelt. Unterstützt wird die Organisation von Partnerunternehmen, die technisches Know-how und Materialien bereitstellen.
Das Herzstück der Initiative ist ihre Flexibilität: Mikrofarmen können sowohl in Schulen als auch in Gemeinschaftszentren oder direkt in Wohnquartieren installiert werden. Jede Farm ist modular aufgebaut und kann von kleinen Kräutergärten bis hin zu großflächigen Gemüseanbauanlagen skaliert werden.
Erfolgreiche Umsetzung: Bildung trifft Nachhaltigkeit
Ein besonders gelungenes Beispiel für die Praxis ist die Zusammenarbeit mit der Grundschule am Platz der Luftbrücke in Berlin. Hier wurde 2020 auf dem Flachdach der Schule eine Mikrofarm eingerichtet. Die Schüler lernen nicht nur, wie Salat, Tomaten und Kräuter wachsen, sondern auch, welche Rolle nachhaltige Landwirtschaft in der Lösung globaler Probleme spielt.
Eine bemerkenswerte Anekdote zeigt den Einfluss des Projekts: Ein Drittklässler, der zuvor kaum Interesse an Naturwissenschaften zeigte, wurde durch die Arbeit in der Mikrofarm so begeistert, dass er seiner Lehrerin erklärte, später „irgendwas mit Pflanzen und Robotern“ machen zu wollen. Das Projekt wurde schnell zu einem integralen Bestandteil des Unterrichts. Ernteprodukte finden ihren Weg in die Schulkantine, und überschüssiges Gemüse wird an eine lokale Tafel gespendet.
Faktenbasierter Erfolg
Das Konzept hat nicht nur sozialen, sondern auch ökologischen Impact. Die erste Dachfarm von GreenCityHarvest in Berlin produziert jährlich über 2 Tonnen frisches Gemüse – genug, um 50 Familien ganzjährig zu versorgen. Eine Studie des Instituts für Nachhaltige Stadtentwicklung (2022) zeigt, dass urbane Mikrofarmen die CO₂-Bilanz des Lebensmitteltransports um bis zu 70 Prozent reduzieren können, wenn sie großflächig eingesetzt werden.
Auch wirtschaftlich zeigt das Modell Potenzial: Investitionen in Mikrofarmen amortisieren sich in der Regel innerhalb von fünf Jahren durch Einsparungen bei Transport und Energie sowie durch den Verkauf von überschüssigen Produkten.
Ein Weg in die Zukunft
GreenCityHarvest plant, bis 2030 mindestens 100 Mikrofarmen in deutschen Städten zu errichten. Dabei setzen sie weiterhin auf starke Partnerschaften mit Unternehmen, die erneuerbare Energien oder smarte Bewässerungssysteme bereitstellen, sowie auf eine enge Zusammenarbeit mit Schulen und Stadtverwaltungen. Ihr Ziel ist klar: Nachhaltige Lebensmittelproduktion direkt dort, wo die Menschen leben, zu etablieren – und gleichzeitig Bildung und Gemeinschaft zu fördern.
Die urbane Landwirtschaft könnte somit ein Schlüssel zur Lösung vieler unserer drängendsten Probleme sein. Sie bringt frische Lebensmittel in die Städte, verbindet Gemeinschaften und zeigt, dass Innovation und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können.
Quellenangaben
- Deutsche Umwelthilfe. (2022). „Urbane Landwirtschaft in Deutschland: Potenziale und Herausforderungen“. https://www.duh.de
- Institut für Nachhaltige Stadtentwicklung. (2022). „Hydroponik und Vertical Farming: Eine Analyse“. https://www.isne.de
- Berlin.de. (2020). „Pilotprojekt: Mikrofarmen auf Schulgeländen“. https://www.berlin.de
- GreenCityHarvest. (2023). „Unsere Vision“. https://www.greencityharvest.de