Die Modeindustrie boomt, doch kaum jemand denkt darüber nach, was mit den Kleidungsstücken passiert, die nach kurzer Nutzung weggeworfen werden. Jedes Jahr landen weltweit Millionen Tonnen Textilabfälle auf Deponien – ein Problem, das nicht nur umwelt-, sondern auch sozialpolitisch von gravierender Bedeutung ist. Besonders bezeichnend: Etwa 90 Prozent der gebrauchten Kleidung aus Europa landen in afrikanischen und asiatischen Ländern, die oft nicht die Kapazitäten zur Wiederverwertung haben. Ein Großteil dieser Altkleider wird dort unbrauchbar und endet auf gigantischen Müllbergen, die die Landschaft verschmutzen und giftige Stoffe ins Grundwasser leiten. Hier setzt das Projekt Africa Collect Textiles (ACT) an und zeigt, wie aus einer globalen Krise ein nachhaltiges Geschäftsmodell entstehen kann.
Das Problem: Altkleiderflut in Afrika
Mit dem schnellen Wachstum der Fast-Fashion-Industrie wächst auch der Berg an Altkleidern, die jährlich weggeworfen werden. In Europa, wo Kleidungsstücke oft nur wenige Male getragen werden, bevor sie ersetzt werden, haben sich die Altkleiderberge zu einem drängenden Problem entwickelt. Doch während viele Europäer glauben, dass gespendete Kleidung hilfsbedürftigen Menschen zugutekommt, landet ein großer Teil davon in den Ländern Afrikas und Asiens. Häufig können diese Kleidungsstücke dort jedoch nicht genutzt werden – die Qualität ist oft schlecht, und die Mengen sind zu groß, um sie sinnvoll zu verteilen. So bleiben sie unverwertet zurück, belasten die Müllentsorgungssysteme und schädigen die Umwelt.
Die sozialen und ökologischen Kosten sind enorm. Während die einheimische Textilindustrie in Ländern wie Kenia und Nigeria unter der Konkurrenz durch billige Importware leidet, haben Kommunen und Entsorgungsbetriebe mit den Abfallbergen zu kämpfen. Doch was wäre, wenn sich die Berge aus Altkleidern in einen Mehrwert verwandeln ließen? Genau diese Idee hatten Whitney Speke und das Team von Africa Collect Textiles.
Die Lösung: Africa Collect Textiles
Im Jahr 2016 gründeten eine kleine Gruppe von Sozialunternehmern Africa Collect Textiles (ACT), eine Initiative, die die Herausforderung der Textilabfälle in Kenia und Nigeria annimmt. Die Vision der Gründer war es, Textilabfälle in einen wertvollen Rohstoff zu verwandeln und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Heute ist das Unternehmen eine nichtstaatliche Organisation (NGO) mit einer Struktur, die zwischen Sozialunternehmen und Umweltprojekt angesiedelt ist. Whitney Speke, die Kommunikationsleiterin von ACT, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Botschaft des Unternehmens zu verbreiten und über die Bedeutung von Textilrecycling aufzuklären.
Der Ansatz von ACT ist so einfach wie innovativ: Sie sammeln gebrauchte Kleidung aus verschiedenen Quellen, darunter Haushalte, Secondhand-Läden und Textilspenden, und verwandeln diese in neue, nützliche Produkte. Dabei sind sie nicht nur in den Großstädten wie Nairobi und Lagos aktiv, sondern arbeiten auch mit Gemeinden und ländlichen Kooperativen zusammen, um ein landesweites Netzwerk aufzubauen. Dieses Netzwerk ermöglicht es ACT, Textilien in großem Umfang zu sammeln und gleichzeitig eine Bildungskampagne für nachhaltigen Konsum und Abfallvermeidung zu betreiben.
Erfolgreiche Projekte und reale Beispiele
ACT hat in den letzten Jahren zahlreiche Projekte umgesetzt, die aufzeigen, wie Textilrecycling zur Verbesserung des Lebensunterhalts und der Umweltbedingungen beitragen kann. Eines der erfolgreichsten Projekte ist die Produktion von wiederverwendbaren Taschen und Accessoires aus Altkleidern, die auf dem lokalen Markt verkauft werden. Diese Taschen sind nicht nur stylisch, sondern erzählen auch die Geschichte der Wiederverwertung und Nachhaltigkeit. In Zusammenarbeit mit Designern und lokalen Handwerkern entstehen so handgefertigte Produkte, die sowohl in Afrika als auch international Absatz finden.
Ein weiteres Beispiel für den Erfolg von ACT ist die Zusammenarbeit mit lokalen Schulen. Hier setzt das Unternehmen auf Bildungsprogramme, in denen Schüler über die Umweltauswirkungen der Textilindustrie aufgeklärt werden und lernen, wie sie selbst Kleidung upcyceln können. In einer Schule in Nairobi führte ein solches Projekt dazu, dass die Schüler einen „Recycling-Club“ gründeten, der seither aktiv neue Ideen für die Wiederverwertung von Kleidung entwickelt. Laut Whitney Speke hat dies einen nachhaltigen Effekt auf das Bewusstsein junger Menschen und stärkt das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung.
Darüber hinaus führt ACT regelmäßige Workshops durch, in denen Frauen aus benachteiligten Gemeinden zu Schneiderinnen und Handwerkerinnen ausgebildet werden. Diese Workshops ermöglichen es ihnen, durch die Produktion von recycelten Produkten ein Einkommen zu erzielen und finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Ein Beispiel ist Florence, eine alleinerziehende Mutter aus Nairobi, die nach der Teilnahme an einem ACT-Workshop nun erfolgreich wiederverwendbare Taschen und Dekorationen herstellt und verkauft. Florence erklärt, dass sie nicht nur stolz darauf sei, einen Beitrag zur Umwelt zu leisten, sondern auch eine stabile Einkommensquelle für ihre Familie gefunden habe.
Zukunftsperspektiven und Herausforderungen
Trotz ihrer Erfolge steht ACT vor Herausforderungen. Die Logistik der Sammlung und Sortierung von Textilabfällen bleibt kostspielig, und es bedarf zusätzlicher Finanzierung, um das Netzwerk weiter auszubauen. Dennoch sind die Gründer optimistisch: Die Nachfrage nach recycelten Produkten steigt, und mit einer wachsenden internationalen Gemeinschaft, die Nachhaltigkeit unterstützt, sieht ACT eine Zukunft, in der Textilrecycling in Afrika floriert.
Africa Collect Textiles beweist, dass innovative Projekte das Potenzial haben, globale Probleme auf lokaler Ebene zu lösen und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit und Umweltbewusstsein zu fördern. In einer Welt, die sich immer mehr der Endlichkeit ihrer Ressourcen bewusst wird, könnte ACT zu einem Vorreiter einer neuen, nachhaltigeren Textilwirtschaft werden.
Quellenangaben
- Greenpeace, 2022. Textile Waste: A Global Environmental Crisis. [Online] Available at: https://www.greenpeace.org/international/textile-waste-crisis [Accessed 3 Nov 2024].
- Environmental Protection Agency, 2023. The Impact of Clothing Waste on African Ecosystems. [Online] Available at: https://www.epa.gov/clothing-waste-africa [Accessed 3 Nov 2024].
- Textile Exchange, 2022. Upcycling in Developing Countries: Case Studies from Africa. [Online] Available at: https://www.textileexchange.org/upcycling-africa [Accessed 3 Nov 2024].
- Speke, W., 2024. Personal Interview with Whitney Speke, Africa Collect Textiles.