Schrott bewahre: Wie Hamburgs erster Second-Hand-Baumarkt die Wegwerfgesellschaft herausfordert

 

In den Lagerhallen des Hamburger Stadtteils Hammerbrook türmen sich Platten, Balken und Ziegel. Jedes dieser Materialien hat bereits ein Leben hinter sich: einst Bauteile von Wohnhäusern, Ladenlokalen oder Lagerhallen, die aus verschiedenen Gründen abgerissen oder umgebaut wurden. Anstatt entsorgt zu werden, hat die Initiative Schrott bewahre sie gesammelt, aufbereitet und zum Verkauf angeboten – zu einem Bruchteil der Kosten für Neuware. Ihr Ziel ist klar: Sie wollen die Menge an Bauschutt und Materialien reduzieren, die ungenutzt auf Deponien landen, und zugleich den Konsumenten eine nachhaltige Alternative bieten.

Das Problem: Eine Wegwerfmentalität im Bauwesen

In Deutschland verursacht die Bauindustrie rund 55 Prozent des gesamten Abfallaufkommens. Gemäß dem Umweltbundesamt fielen im Jahr 2022 allein durch den Bau- und Abbruchsektor über 200 Millionen Tonnen Abfälle an, von denen nur ein geringer Teil recycelt wurde. Die meisten Abfälle, insbesondere mineralische Baustoffe, enden auf Deponien, obwohl sie grundsätzlich wiederverwertbar wären. Betonblöcke, Ziegel, Metallträger und Fenster werden oft unnötig entsorgt, weil es kostspielig und aufwändig ist, sie für eine erneute Verwendung vorzubereiten. Die rechtlichen Vorgaben zur Wiederverwertung sind streng, doch das Problem bleibt: Baumaterialien werden häufig direkt vernichtet, weil es an einer Infrastruktur mangelt, die Wiederverwendung praktikabel und bezahlbar macht.

Diese Wegwerfmentalität hat erhebliche ökologische Folgen. Baustoffe wie Beton und Stahl sind extrem ressourcenintensiv. Die Zementproduktion allein verursacht rund 8 Prozent der globalen CO₂-Emissionen, wie die International Energy Agency (IEA) 2021 berichtete. Hinzu kommt, dass der Abbau und Transport dieser Rohstoffe eine Belastung für die Umwelt darstellt, von Energieverbrauch über Emissionen bis hin zur Zerstörung natürlicher Lebensräume. In diesem Kontext steht die Notwendigkeit einer strukturellen Veränderung: Nachhaltigkeit muss Einzug ins Bauwesen halten, nicht nur durch energieeffiziente Gebäude, sondern auch durch die Vermeidung von Ressourcenverschwendung bei den Baumaterialien.

Eine nachhaltige Alternative: Die Entstehung von Schrott bewahre

Diese Probleme vor Augen, gründeten drei engagierte Hamburger im Jahr 2020 die Initiative Schrott bewahre: Lisa Meier, Jan Stiegler und Miriam Richter. Die Idee kam den Gründern, als sie an einem Renovierungsprojekt arbeiteten und sahen, wie viel Material einfach weggeschmissen wurde, das noch hätte weiterverwendet werden können. Ihre Vision war ein Second-Hand-Baumarkt, der gezielt auf das Einsammeln und Weiterverkaufen gebrauchter Baustoffe spezialisiert ist. Mit ihrem Konzept fanden sie in Hamburg schnell Zuspruch und Unterstützung, vor allem in umweltbewussten Kreisen und bei gemeinnützigen Initiativen.

Die Initiative Schrott bewahre nahm zunächst die Form eines gemeinnützigen Vereins an. Sie entschieden sich bewusst für diese Rechtsform, um als Non-Profit-Organisation arbeiten zu können und Spenden sowie ehrenamtliches Engagement zu ermöglichen. Anfangs bestand das Team aus lediglich fünf Personen. Heute, vier Jahre nach der Gründung, zählt der Verein etwa 20 feste und ehrenamtliche Mitglieder. Unterstützt wird das Projekt auch durch Fördermittel der Stadt Hamburg, die den ökologischen Nutzen des Vorhabens anerkannt hat.

Die Logistik des Projekts ist aufwändig: Schrott bewahre arbeitet eng mit Bauunternehmen und Abbruchfirmen zusammen. Werden Gebäude abgerissen oder renoviert, prüft das Team, welche Materialien noch nutzbar sind, und organisiert den Transport in die Lagerhallen in Hammerbrook. Dort werden die Materialien katalogisiert und nach Zustand und Verwendungszweck sortiert. Potenzielle Kunden – von Privatpersonen bis hin zu kleinen Handwerksbetrieben – können die Materialien begutachten und erwerben. Die Preise sind bewusst niedrig angesetzt, um möglichst vielen den Zugang zu nachhaltigem Baumaterial zu ermöglichen.

Erfolgsgeschichten: Von alten Balken und neuen Ideen

Seit seiner Gründung hat Schrott bewahre bereits etliche Bauprojekte unterstützt und zahlreiche Materialien vor der Entsorgung bewahrt. Eines der erfolgreichsten Beispiele ist ein kleiner Kindergarten im Hamburger Stadtteil Altona, der komplett aus recyceltem Baumaterial errichtet wurde. Die Erzieher hatten die Idee, den Kindern Nachhaltigkeit greifbar zu machen und entschieden sich, ihren Kindergarten mit Materialien von Schrott bewahre zu bauen. Für die Kinder wurde jeder Balken und jede Platte zu einem Teil ihrer Geschichte. „Das Holz, das hier unsere Wände bildet, hat einmal eine Werkstatt gestützt“, erzählt der Kindergartenleiter stolz.

Eine weitere Erfolgsgeschichte ist die Zusammenarbeit mit einer Künstlergemeinschaft, die ein Ateliergebäude in der HafenCity renovierte. Hier fanden Ziegelsteine, alte Holzdielen und Metallträger aus den Beständen von Schrott bewahre ein neues Zuhause und gaben dem Atelier eine einzigartige, rustikale Ästhetik. Die Künstler schätzen nicht nur die Materialien, sondern auch die Geschichte, die jedes Stück mit sich bringt. Ein Künstler erzählte lachend, dass eine Metallstütze in seinem Atelier früher einmal in einer alten Lagerhalle gestanden habe, die er als Kind besucht hatte.

Ein kleiner Markt mit großer Wirkung

Das Konzept von Schrott bewahre mag simpel erscheinen, doch seine Wirkung ist groß. Der Second-Hand-Baumarkt in Hamburg füllt eine Nische und zeigt auf, dass Baumaterialien mehr sind als nur eine einmalige Ressource. Die Initiative trägt nicht nur zur Reduzierung von Bauabfällen bei, sondern inspiriert auch andere, die Wegwerfmentalität zu hinterfragen. Immer mehr Privatpersonen und Betriebe nutzen das Angebot und setzen auf Wiederverwendung statt Neukauf. Dadurch entstehen Projekte mit Charakter und Geschichte, die zudem einen positiven Beitrag zur Umwelt leisten.

Durch ihr kontinuierliches Wachstum und die verstärkte Nachfrage denkt das Team von Schrott bewahre inzwischen über eine Erweiterung nach. Lisa Meier, eine der Gründerinnen, erwähnt in einem Interview, dass sie sich weitere Standorte in anderen deutschen Städten vorstellen könnten. Die Herausforderung besteht darin, die Logistik weiter zu optimieren und mehr Kooperationen mit der Bauindustrie zu etablieren.

Quellenangaben

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