Ein wachsendes Problem: Das zentrale Stromnetz am Limit
Unsere Energieversorgung steht an einem kritischen Punkt. Seit Jahrzehnten setzen wir auf zentralisierte Stromnetze, die große Mengen an fossilen Energien in Kohle- und Gaskraftwerken verbrennen. Doch die Infrastruktur dieser Netze ist überaltert, und immer häufiger kommt es in Spitzenzeiten zu Problemen. Die steigende Nachfrage nach Strom, verstärkt durch Elektromobilität und den zunehmenden Einsatz digitaler Technologien, bringt das System an seine Grenzen. Hinzu kommt: Die globale Klimakrise fordert einen dringenden Umstieg auf erneuerbare Energien. Solaranlagen, Windparks und andere saubere Technologien boomen weltweit. Allein in Deutschland wächst die Zahl privater Solaranlagen rasant. Immer mehr Hausbesitzer installieren Solarpaneele auf ihren Dächern und produzieren damit oft mehr Strom, als sie selbst verbrauchen können. Dieser überschüssige Strom muss ins Netz eingespeist werden. Doch dabei stoßen wir auf ein weiteres Problem: Die Infrastruktur und die rechtlichen Vorgaben sind nicht für ein dezentralisiertes Netz ausgelegt, in dem kleine und mittlere Energieerzeuger aktiv Strom handeln können.
Gerade an sonnigen Tagen oder bei starkem Wind bleibt überschüssige Energie oft ungenutzt – eine Verschwendung wertvoller Ressourcen. Hinzu kommen die sinkenden Einspeisevergütungen, die es für kleine Produzenten zunehmend unrentabel machen, überschüssigen Strom ins Netz zu speisen. Die Konsequenz: Viele Menschen verzichten auf den Bau von Solaranlagen, weil es sich finanziell nicht lohnt. Genau hier setzt das Projekt „Energie-Teilen“ an.
Die Lösung: „Energie-Teilen“ – Energie-Sharing für eine grünere Zukunft
Das Start-up Energie-Teilen wurde 2021 von den beiden Energieexperten Julia Sommer und Tobias Hartmann in München gegründet. Die beiden Gründer haben sich der Vision verschrieben, ein flexibles, dezentrales und umweltfreundliches Energienetz zu schaffen. „Wir wollten eine Plattform entwickeln, die nicht nur dem Großverbraucher und den großen Energiekonzernen Vorteile bringt, sondern auch dem kleinen, privaten Solaranlagen-Besitzer“, erklärt Sommer. Mit ihrem Hintergrund in Energieingenieurwesen und Umweltrecht hatten Sommer und Hartmann die idealen Voraussetzungen, um die Komplexität des Energiemarkts zu durchschauen und eine innovative Lösung zu entwickeln.
Energie-Teilen wurde als gemeinnützige GmbH gegründet, um sicherzustellen, dass das Projekt langfristig im Interesse der Allgemeinheit und nicht nur zum Profit von Investoren geführt wird. Das Start-up beschäftigt derzeit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Softwareentwickler, Energieberater und Kommunikationsexperten. Die digitale Plattform funktioniert wie ein Marktplatz, auf dem überschüssige erneuerbare Energie gehandelt werden kann. Besitzer von Solaranlagen oder kleinen Windkraftanlagen können ihren überschüssigen Strom auf der Plattform anbieten. Privatpersonen oder kleine Unternehmen, die den Strom benötigen, können diesen dann zu fairen Preisen direkt kaufen. Die Plattform kümmert sich um die sichere Abwicklung, die Verrechnung und stellt auch die notwendige Technik für die Verknüpfung von Käufer und Verkäufer bereit. „Mit unserer Lösung können wir dezentral und flexibel Strom bedarfsgerecht verteilen, ohne dass die großen Netzbetreiber eingreifen müssen“, so Hartmann.
Erfolgsprojekte und spannende Geschichten: Energie-Teilen in der Praxis
Ein besonders gelungenes Beispiel für das Energie-Sharing findet sich in einem kleinen Ort in Bayern, wo die Bewohner eines Viertels über die Plattform „Energie-Teilen“ eine sogenannte Energie-Gemeinschaft gebildet haben. Hier stehen zahlreiche Einfamilienhäuser mit Solaranlagen auf den Dächern. Bis vor kurzem speisten viele der Hausbesitzer ihren überschüssigen Strom einfach ins allgemeine Netz ein und erhielten dafür eine geringe Vergütung. Mit der Einführung von Energie-Teilen haben sich die Hausbesitzer jedoch zusammengeschlossen, um ihren Strom lokal und untereinander zu handeln. Jetzt nutzt eine Schule im Ort den Strom der Nachbarn und spart damit erhebliche Kosten, während die Erzeuger fairer bezahlt werden als bei der regulären Einspeisevergütung.
Eine Anekdote von Hartmann beschreibt die Herausforderungen der Anfangszeit: „Wir haben bei einem unserer ersten Pilotprojekte ein Missverständnis mit der lokalen Verwaltung gehabt und am Tag der Installation standen plötzlich drei Beamte auf der Matte, die unsere Anschlüsse überprüfen wollten.“ Der Zwischenfall konnte schließlich mit einem Kaffee und einer eingehenden Erklärung gelöst werden. Hartmann und sein Team wurden jedoch für die Zukunft vorsichtiger, wenn es um Abstimmungen mit den Behörden ging.
Ein weiteres Erfolgsbeispiel zeigt sich im städtischen Bereich. In Berlin wurde eine Wohnsiedlung, die über mehrere Solaranlagen verfügt, ebenfalls mit der Plattform „Energie-Teilen“ vernetzt. Die Mieter profitieren von günstigem, lokal erzeugtem Strom, während die Besitzer der Anlagen eine faire Entlohnung erhalten. Das Projekt hat bereits Vorbildcharakter und könnte zukünftig auf weitere Städte ausgeweitet werden.
Fazit: Ein Modell für die Zukunft?
Energie-Teilen zeigt, wie ein digitales Modell für den Handel mit erneuerbarer Energie dazu beitragen kann, die Abhängigkeit von zentralisierten Netzen zu reduzieren und dabei den Übergang zu einer nachhaltigen und gerechten Energieversorgung zu fördern. Die Plattform ermöglicht es, die Energiewende nicht nur schneller, sondern auch gerechter zu gestalten. Wenn es gelingt, das Modell in weiteren Regionen und Ländern zu etablieren, könnte das Start-up nicht nur den Energiemarkt, sondern die gesamte Art, wie wir über Energie denken und sie verteilen, revolutionieren.
Quellenangaben
- Agora Energiewende 2023. „Die dezentrale Energiewende.“ Zugriff am 1. November 2024. https://www.agora-energiewende.de/de/projekte/die-dezentrale-energiewende
- Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft 2024. „Zukunft der Netze: Dezentralisierung und Digitalisierung.“ Zugriff am 1. November 2024. https://www.bdew.de/energie/zukunft-der-netze-dezentralisierung
- Heinrich-Böll-Stiftung 2023. „Der neue Energiemarkt: Chancen für regionale Stromerzeuger.“ Zugriff am 1. November 2024. https://www.boell.de/de/2023/09/01/neuer-energiemarkt-chancen
- Umweltbundesamt 2024. „Erneuerbare Energien im Aufwind: Herausforderungen und Chancen.“ Zugriff am 1. November 2024. https://www.umweltbundesamt.de/themen/erneuerbare-energien-chancen-herausforderungen