Ein schöner Schein mit zerstörerischer Wirkung
Der Viktoriasee in Ostafrika, einer der größten Seen der Welt, ist ein Ort von immenser ökologischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Er erstreckt sich über die Länder Kenia, Tansania und Uganda und ist Lebensgrundlage für Millionen von Menschen, die vom Fischfang und der Landwirtschaft abhängen. Doch seit Jahrzehnten wird der See von einer schön anzusehenden, aber äußerst zerstörerischen Pflanze bedroht: der Wasserhyazinthe.
Die Wasserhyazinthe, ursprünglich aus Südamerika stammend, wurde vermutlich durch internationale Schifffahrt oder absichtliche Einführung als Zierpflanze in den See gebracht. Innerhalb weniger Jahre verbreitete sie sich rasant. Ihre saftig grünen Blätter und violetten Blüten bilden dichte Teppiche auf der Wasseroberfläche. Unter dieser schönen Fassade lauert jedoch eine Gefahr: Die Pflanze entzieht dem Wasser Sauerstoff und verhindert das Eindringen von Sonnenlicht. Dadurch sterben Fische, Algen und andere wichtige Organismen ab, die für das ökologische Gleichgewicht des Sees unerlässlich sind.
Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind gravierend. Fischer können ihre Netze nicht mehr auswerfen, Boote bleiben in den dichten Pflanzenmassen stecken, und das Wasser wird unbrauchbar für die Bewässerung. Tausende Familien, die vom Viktoriasee abhängig sind, sehen sich ihrer Existenzgrundlage beraubt.
Eine innovative Lösung: Aus der Plage wird Papier
Die Notwendigkeit, eine Lösung zu finden, wurde immer drängender. Im Jahr 2015 beschlossen mehrere Umwelt- und Sozialaktivisten in Kenia, das Problem an der Wurzel zu packen. Unter der Leitung von Margaret Achieng und Peter Otieno wurde das Projekt „EcoViva“ gegründet. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, die Wasserhyazinthen nicht nur zu entfernen, sondern auch wirtschaftlich nutzbar zu machen.
EcoViva arbeitet als gemeinnützige Organisation und kooperiert eng mit lokalen Gemeinden. Das Projekt basiert auf einem einfachen, aber genialen Prinzip: Die Wasserhyazinthen werden geerntet, getrocknet und zu Papier verarbeitet. Dieses Papier dient als Basis für eine Vielzahl von Produkten, darunter Geschenkverpackungen, Notizbücher, Überziehvasen und nachhaltige Verpackungsmaterialien.
Die Gründer wählten bewusst eine gemeinnützige Rechtsform, um sicherzustellen, dass der Großteil der Einnahmen in die Gemeinden zurückfließt. Heute umfasst das Projekt 150 feste Mitarbeiter und bietet saisonale Arbeitsmöglichkeiten für bis zu 300 weitere Personen. Die Organisation hat in den letzten Jahren über 5.000 Tonnen Wasserhyazinthen aus dem Viktoriasee entfernt und diese in nachhaltige Produkte umgewandelt.
Erfolgsgeschichten und Herausforderungen
Die Umwandlung der Wasserhyazinthe in Papier erfordert mehrere Arbeitsschritte. Zunächst werden die Pflanzen geerntet, eine physisch anspruchsvolle Aufgabe, die oft manuell erfolgt. Danach werden die Hyazinthen in speziellen Trocknungsanlagen dehydriert, gehäckselt und zu einem Brei verarbeitet, der schließlich als Rohstoff für die Papierherstellung dient.
Ein beeindruckendes Beispiel für den Erfolg des Projekts ist die Geschichte von Amina Otieno, einer alleinerziehenden Mutter aus der Region Kisumu. Vor der Mitarbeit bei EcoViva hatte sie kaum Einkommensmöglichkeiten. Heute leitet sie ein Team von zehn Frauen, das für die Verarbeitung der Hyazinthen verantwortlich ist. „Ich hätte nie gedacht, dass diese Pflanze, die unser Leben so schwer gemacht hat, einmal meine Existenz sichern würde,“ sagt sie stolz.
Doch der Weg zum Erfolg war nicht frei von Hürden. Anfangs standen die Gründer vor technischen und finanziellen Herausforderungen. Die erste Trocknungsanlage wurde mit Mitteln von privaten Spendern und einer Crowdfunding-Kampagne finanziert. Die Technologie zur Papierherstellung musste angepasst werden, um mit den spezifischen Eigenschaften der Wasserhyazinthe zu arbeiten. Über die Jahre hat EcoViva jedoch Partnerschaften mit internationalen Umweltschutzorganisationen und Universitäten aufgebaut, die finanzielle und technische Unterstützung leisten.
Nachhaltigkeit und Ausblick
EcoViva hat nicht nur zur Reinigung des Viktoriasees beigetragen, sondern auch ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit in den umliegenden Gemeinden geschaffen. Viele Familien, die zuvor auf umweltschädliche Methoden wie illegalen Holzschlag angewiesen waren, haben jetzt eine nachhaltige Einkommensquelle. Die Organisation plant, ihre Aktivitäten auf andere von Wasserhyazinthen betroffene Gebiete in Afrika auszudehnen.
Die Vision der Gründer geht weit über die Papierproduktion hinaus. Langfristig will EcoViva die Wasserhyazinthe auch für die Herstellung von Biomasse und Biogas nutzen. Erste Pilotprojekte laufen bereits und könnten in den kommenden Jahren umgesetzt werden.
Ein Modell für andere Regionen?
Das Modell von EcoViva zeigt eindrucksvoll, wie Umweltprobleme in Chancen verwandelt werden können. Es könnte Vorbild für andere Regionen sein, die mit invasiven Pflanzen zu kämpfen haben. Mit einer Kombination aus lokalem Engagement, innovativen Ideen und internationaler Unterstützung lassen sich sogar die drängendsten Umweltprobleme bewältigen.
Quellen
- World Resources Institute (2020). „The Threat of Water Hyacinths in Lake Victoria.“ [online] Available at: https://www.wri.org/threat-water-hyacinths
- EcoViva. (2022). „Our Mission and Impact.“ [online] Available at: https://www.ecoviva.org/mission-impact
- United Nations Environment Programme (UNEP) (2021). „Tackling Invasive Species in Africa.“ [online] Available at: https://www.unep.org/invasive-species-africa
- The Guardian (2019). „How Kenyan Women Turn Water Hyacinths into Paper.“ [online] Available at: https://www.theguardian.com/kenya-water-hyacinths-paper
- BBC News (2020). „Lake Victoria: Turning Environmental Challenges into Business Opportunities.“ [online] Available at: https://www.bbc.com/victoria-business-opportunities
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