Kostenloser öffentlicher Nahverkehr in Luxemburg. Wie geht das?

Wie ein kleines Land große Verkehrsprobleme löst

Luxemburg, eines der kleinsten Länder Europas, hat sich 2020 zu einem bahnbrechenden Schritt entschlossen: Als erstes Land weltweit bietet es seitdem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr an. Eine Entscheidung, die nicht nur von umweltpolitischen Motiven getrieben wurde, sondern auch soziale und wirtschaftliche Herausforderungen adressieren sollte. Was auf den ersten Blick wie eine Utopie wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als strategischer Schachzug in einem der reichsten Länder der Welt. Doch wie kam es zu dieser Idee? Und welche Probleme wurden tatsächlich gelöst?

Ein kleines Land mit großen Herausforderungen

Luxemburg mag geografisch klein sein, doch seine Probleme im Verkehrswesen waren bis vor wenigen Jahren enorm. Mit einer Bevölkerung von nur rund 660.000 Menschen und etwa 200.000 Berufspendlern aus den Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Belgien hat das Land eine der höchsten Autodichten Europas. Laut einer Studie des Verkehrsministeriums 2019 besaßen 681 von 1.000 Einwohnern ein Auto. Dies führte zu täglichen Staus, Luftverschmutzung und einer angespannten Parksituation in den urbanen Zentren.

Der Berufsverkehr auf den Straßen rund um Luxemburg-Stadt ähnelt eher einem Parkplatz als fließendem Verkehr. 2019 lag die durchschnittliche Stauzeit bei rund 33 Stunden pro Jahr und pro Autofahrer. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Verluste und die Belastung für die Umwelt waren kaum zu ignorieren.

Hinzu kommt die soziale Dimension: Viele der Geringverdiener waren finanziell stark belastet durch die hohen Mobilitätskosten, die einen großen Teil des monatlichen Einkommens verschlangen. Auch diese Ungleichheit wollte die luxemburgische Regierung angehen.

Die Idee des kostenlosen Nahverkehrs: Wie alles begann

Die Vision eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs war das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen politischen Entscheidungsträgern, Wirtschaftsexperten und Wissenschaftlern. Premierminister Xavier Bettel und Verkehrsminister François Bausch – beide entschiedene Befürworter nachhaltiger Verkehrslösungen – spielten eine zentrale Rolle. Die Regierung, eine Koalition aus Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen, hatte das Projekt bereits 2018 in ihrem Regierungsprogramm prioritär verankert. Ziel war es, Luxemburg als Vorreiter für nachhaltige Mobilität in Europa zu etablieren.

Die Planungen begannen mit einer umfassenden Analyse der Verkehrsströme, der Umweltbelastung und der sozialen Auswirkungen der bisherigen Mobilitätspolitik. Besondere Aufmerksamkeit galt der Frage, ob die Abschaffung von Fahrkarten für Busse, Züge und Straßenbahnen tatsächlich dazu führen würde, dass mehr Menschen auf ihr Auto verzichten. Gleichzeitig mussten finanzielle Aspekte berücksichtigt werden: Würde die Einsparung von Einnahmen durch Einsparungen in anderen Bereichen, wie geringere Infrastrukturbelastung und weniger Staus, aufgewogen werden?

Ein weiterer wichtiger Faktor war die soziale Komponente. Der öffentliche Nahverkehr sollte zu einem Mittel der sozialen Integration werden, indem finanzielle Hürden für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen abgebaut werden. „Mobilität ist ein Grundrecht, kein Luxus“, erklärte Bausch während einer Pressekonferenz 2019.

Die Umsetzung erfolgte 2020 und verlief erstaunlich reibungslos. Die Einnahmen aus Fahrkarten machten nur etwa 41 Millionen Euro pro Jahr aus, ein Bruchteil der Gesamtkosten für den Betrieb des Verkehrssystems. Diese Summe konnte durch staatliche Subventionen problemlos gedeckt werden, ohne den Staatshaushalt signifikant zu belasten. Die Entscheidung wurde auch durch die wirtschaftliche Stabilität Luxemburgs erleichtert, das durch hohe Steuereinnahmen und eine prosperierende Finanzindustrie unterstützt wird.

Was macht Luxemburg anders?

Luxemburg hat seinen Fokus nicht nur auf die Kostenfreiheit gelegt. Parallel wurden umfassende Investitionen in die Infrastruktur getätigt:

  • Modernisierung des Schienennetzes: Der Ausbau der Zugverbindungen machte das Reisen für Pendler aus den Nachbarländern schneller und komfortabler.
  • Erweiterung des Busnetzes: Neue Buslinien verbinden auch ländliche Gebiete effizient mit den urbanen Zentren.
  • Nachhaltige Verkehrsmittel: Die Integration von E-Bussen und der Ausbau von Fahrradwegen fördern umweltfreundliche Mobilität.

Das System ist für alle kostenlos – Einwohner, Pendler und Touristen gleichermaßen. Lediglich für Fahrten in der 1. Klasse von Zügen fallen Kosten an, was jedoch kaum Einschränkungen mit sich bringt.

Erfolge und Herausforderungen

Die ersten Jahre nach der Einführung des kostenlosen Nahverkehrs haben gemischte Ergebnisse geliefert. Einerseits stiegen die Fahrgastzahlen: Im Jahr 2021 wurde eine Zunahme der Nutzung des öffentlichen Verkehrs um 10 % im Vergleich zu 2019 verzeichnet (Ministère de la Mobilité et des Travaux publics, 2022). Vor allem junge Menschen und Touristen nutzen das Angebot.

Andererseits blieb die erhoffte Reduktion des Autoverkehrs hinter den Erwartungen zurück. Viele Pendler aus den Nachbarländern greifen weiterhin auf ihre Fahrzeuge zurück, da die Anbindung an grenzüberschreitende öffentliche Verkehrsmittel trotz Verbesserungen nicht immer ideal ist.

Ein weiteres Problem ist die Überlastung in Stoßzeiten. Trotz des Ausbaus der Infrastruktur stoßen Busse und Züge oft an ihre Kapazitätsgrenzen. Langfristige Investitionen sind daher unerlässlich, um das System weiter zu optimieren.

Inspiration für andere Länder?

Luxemburgs mutiger Schritt hat weltweit Aufsehen erregt und Diskussionen über die Machbarkeit eines ähnlichen Modells in anderen Ländern ausgelöst. Vor allem in urbanen Ballungsräumen wie Berlin, Paris oder New York wäre kostenloser öffentlicher Nahverkehr eine erhebliche Entlastung für die Bürger. Allerdings bleibt die Finanzierung ein Knackpunkt. Luxemburg kann sich dieses Modell leisten, da das Land durch hohe Steuereinnahmen aus der Finanzindustrie finanziell gut aufgestellt ist.

Der kostenlose öffentliche Nahverkehr in Luxemburg ist ein innovativer Ansatz, um den Verkehrsproblemen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Auch wenn nicht alle Erwartungen sofort erfüllt wurden, zeigt das Projekt, dass soziale und ökologische Ziele Hand in Hand gehen können. Luxemburg hat bewiesen, dass Mut und Visionen zu nachhaltigen Veränderungen führen können – ein Beispiel, das Schule machen sollte.

Quellen

 

 

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