In einer Gesellschaft, in der beruflicher Erfolg und familiäre Verpflichtungen oft miteinander konkurrieren, sehnen sich viele Eltern nach einem Ort, an dem beides in Einklang gebracht werden kann. Die Realität sieht jedoch oft anders aus. Starre Arbeitszeiten, unzureichende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und wenig Unterstützung bei der Rückkehr nach der Elternzeit sind nur einige der Herausforderungen, mit denen berufstätige Eltern täglich kämpfen. Hier setzt die Initiative „Prädikat Familienfit“ an – ein Gütesiegel, das genau diese Probleme in Angriff nimmt und gleichzeitig Unternehmen anspornt, ihre familienfreundlichen Angebote auszubauen.
Das Problem: Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Ein Balanceakt
Für viele Eltern ist der Arbeitsalltag ein ständiger Spagat zwischen beruflichen Verpflichtungen und familiären Bedürfnissen. Während sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren immer flexibler zeigt, bleiben viele Strukturen dennoch festgefahren. Die Anforderungen an Eltern in einer zunehmend digitalisierten, schnelllebigen und wettbewerbsorientierten Welt steigen. Gleichzeitig verändern sich gesellschaftliche Erwartungen und der Wunsch nach einer gerechteren Aufteilung von Familienaufgaben zwischen den Geschlechtern wächst. Doch die meisten Arbeitsmodelle, vor allem in größeren Unternehmen, hinken diesen Entwicklungen hinterher.
Die Liste der Probleme ist lang: Da sind Eltern, die Schwierigkeiten haben, nach der Elternzeit an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren, weil ihre Abwesenheit als Karriererisiko gilt. Mütter, die trotz Elternzeit nur Teilzeit arbeiten möchten, kämpfen oft mit Vorurteilen, dass ihnen die nötige „Einsatzbereitschaft“ fehle. Väter, die Elternzeit nehmen, erleben oft Unverständnis oder sogar Ablehnung im Kollegenkreis. Zudem gibt es in vielen Unternehmen kaum oder nur unzureichende Angebote zur Kinderbetreuung.
Studien belegen, dass diese Faktoren nicht nur das Wohlbefinden der Eltern, sondern auch die Produktivität der Unternehmen beeinträchtigen. Laut einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) leiden Unternehmen, die ihren Beschäftigten keine familienfreundlichen Angebote bieten, oft unter einer höheren Fluktuation und geringerer Motivation der Mitarbeitenden (Schröder et al., 2020).
Die Lösung: Ein Gütesiegel für familienfreundliche Arbeitgeber
Hier kommt „Prädikat Familienfit“ ins Spiel. Gegründet wurde die Initiative im Jahr 2022 von der Unternehmerin Lisa Koller und dem Familienberater Jonas Frank. Beide haben jahrelange Erfahrung in der Beratung von Unternehmen zu familienfreundlichen Arbeitsmodellen gesammelt und dabei immer wieder den Wunsch nach klaren Standards und Orientierungshilfen gehört. „Uns war schnell klar, dass es nicht reicht, einfach nur eine Liste familienfreundlicher Maßnahmen zu erstellen. Wir wollten etwas schaffen, das Unternehmen wirklich motiviert und gleichzeitig Familien Orientierung gibt,“ sagt Koller über die Anfänge der Initiative.
„Prädikat Familienfit“ ist als gemeinnützige GmbH (gGmbH) registriert, um die Unabhängigkeit der Bewertung und die Gemeinwohlorientierung sicherzustellen. Das Team der Initiative besteht aus 12 festen Mitarbeitenden und einer Handvoll externer Berater. Die Gründer
und das Team erarbeiteten ein umfassendes Bewertungssystem, das auf festen Standards und konkreten Kriterien basiert. Unternehmen, die das Gütesiegel „Prädikat Familienfit“ erhalten möchten, müssen in verschiedenen Kategorien punkten: Dazu zählen Kinderbetreuungsangebote, flexible Arbeitszeitmodelle, Elternzeitregelungen und Wiedereinstiegsmöglichkeiten nach der Elternzeit. Die Bewertung erfolgt auf einer fünfstufigen Skala, sodass Unternehmen nicht nur wissen, ob sie das Siegel erhalten, sondern auch, in welchen Bereichen sie sich noch verbessern können.
Die Initiative finanziert sich durch Spenden und Sponsorenbeiträge sowie durch eine Gebühr, die Unternehmen für die Bewerbung um das Siegel zahlen. Dabei achtet die gemeinnützige GmbH darauf, die Gebühren so zu gestalten, dass auch kleinere und mittelständische Unternehmen Zugang zum Siegel haben.
Erfolgreiche Umsetzungen und inspirierende Geschichten
Seit der Einführung des „Prädikat Familienfit“ haben sich bereits mehr als 50 Unternehmen für das Siegel beworben. Einige von ihnen wurden als Best-Practice-Beispiele ausgezeichnet. Eines dieser Unternehmen ist die IT-Firma „Digital Horizons“. Geschäftsführer Michael Langner war zunächst skeptisch, als er von der Initiative hörte. „Ich dachte, wir wären bereits familienfreundlich – schließlich bieten wir Homeoffice und flexible Arbeitszeiten an,“ erzählt Langner. Doch bei der Bewertung stellte sich heraus, dass Digital Horizons in puncto Elternzeit und Kinderbetreuungsmöglichkeiten noch Verbesserungspotenzial hatte. „Das Feedback hat uns geholfen, unsere Angebote weiter auszubauen. Heute bieten wir eine Betriebskita und zusätzlich zwei Monate bezahlte Elternzeit für Väter an,“ so Langner stolz. Das Unternehmen erhielt das „Prädikat Familienfit“ im Jahr 2023 und hat seitdem eine merklich geringere Fluktuationsrate bei den Mitarbeitenden.
Ein anderes Beispiel ist die Textilfirma „Green Thread“, die nicht nur flexible Arbeitszeiten und Homeoffice ermöglicht, sondern auch eine eigens entwickelte App zur Unterstützung von Eltern im Arbeitsalltag anbietet. Die App informiert Mitarbeitende über bevorstehende Schulferien, erlaubt die unkomplizierte Buchung von Kinderbetreuungsangeboten und bietet Eltern die Möglichkeit, sich im Unternehmen untereinander zu vernetzen. Die Einführung der App hat zu einem regelrechten „Babyboom“ bei Green Thread geführt. „Wir haben in diesem Jahr mehr als doppelt so viele Elternzeit-Anfragen wie in den Vorjahren“, berichtet Personalchefin Julia Meier. Auch Green Thread erhielt das „Prädikat Familienfit“ und wird von der Initiative als Vorzeigeunternehmen gelistet.
Ein Gütesiegel, das Arbeitgeber und Familien zusammenbringt
Das „Prädikat Familienfit“ ist mehr als nur ein Zertifikat. Es ist eine Bewegung, die zeigt, dass es möglich ist, Arbeit und Familie miteinander zu vereinbaren. Durch die klaren Bewertungsstandards und die Transparenz der Initiative haben Eltern eine zuverlässige Orientierungshilfe bei der Wahl des Arbeitgebers, und Unternehmen erhalten einen starken Anreiz, ihre Arbeitsmodelle kontinuierlich zu verbessern. Jonas Frank fasst es zusammen: „Wir wollen zeigen, dass familienfreundliche Arbeit keine Utopie ist. Sie ist machbar – und wir sind hier, um den Weg dorthin zu ebnen.“
Quellen
Schröder, J., Müller, K., & Becker, S. (2020) Familienfreundliche Arbeitsbedingungen und Mitarbeiterzufriedenheit: Eine empirische Analyse, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Available at: https://www.iab.de
Winkelmann, S. (2021) Arbeitswelt und Familie: Chancen und Herausforderungen der Vereinbarkeit, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Available at: https://www.diw.de
Köllner, M. (2023) Flexible Arbeitszeiten und Elternzeit in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme, Bundeszentrale für politische Bildung. Available at: https://www.bpb.de
Familienministerium (2022) Elternzeit und Elterngeld: Gesetzliche Rahmenbedingungen in Deutschland, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Available at: https://www.bmfsfj.de